Wolfgang Pachla,
Portrait eines europäischen Pioniers auf dem Marimba-Xylophon
Als Wolfgang Pachla 1982 starb, verloren wir mit ihm einen der ersten Marimba-Solisten Europas.
Geboren 1913 im estnischen Paide (Vater war Este, Mutter baltendeutscher Herkunft) erhielt er bereits im Alter von 6 Jahren den ersten Unterricht auf dem vierreihigen Xylophon von seinem Vater, einem vielseitigen Amateurmusiker.
W.P. entwickelte weiterhin als Autodidakt sehr bald eine erstaunliche Virtuosität und konnte sich nach einigen frühen Auftritten in seiner Schule in Tallinn, wo seine Familie jetzt lebte, auch in Musik-Cafes und bei Wochenend-Veranstaltungen Extra-Taschengeld verdienen. Zunächst hatten natürlich Schule und Konservatorium (Hauptfach Violine bei Prof. Paulsen) Vorrang, doch als man seine frühen Erfolge auf dem Xylophon durch ein erstes Engagement im Rundfunk Tallinn im Alter von 15 Jahren belohnte, begann er ernsthafter über seine Berufsmöglichkeiten als Xylophon-Virtuose nachzudenken. Bis es soweit war, lag noch ein weiter Weg vor ihm. Zwar war er nun regelmäßig im Rundfunk Tallinn und vielerorts in Estland und auch in Riga zu hören, doch musste er bald die Grenzen seiner Möglichkeiten auf dem Xylophon erkennen.
Nach dem Abitur lernte er durch seine estnische Militärzeit im Garnisonsorchester erstmalig amerikanische und englische 4- bis 5-oktavige Marimba-Xylophons kennen, deren viel größere Möglichkeiten und vor allem deren schöne tiefe Marimba-Oktaven ihn begeisterten. Auf solch einem Instrument schien ihm eine Solisten Karriere aussichtsreicher. Da er durch Schwierigkeiten im Elternhaus nach der Militärzeit nicht mehr studieren gehen konnte und sein Xylophonspiel weder den Lebensunterhalt noch ein neues Instrument finanzieren würde, nahm er eine kaufmännische Stelle an, um baldmöglichst das begehrte Marimba-Xylophon erwerben zu können. Es sollte 25 Monatsgehälter kosten und nur mit Hilfe eines Kredits war er schließlich 1937 in der Lage ein 5-oktaviges Ajax Marimba-Xylophon von der Firma Boosey & Hawkes aus England zu bestellen. Sein Repertoire musste er baldmöglichst erweitern und sich umstellen. Es umfasste mangels geeigneter Spezialliteratur viele Transkriptionen virtuoser Stücke für andere Instrumente, wie Zigeunerweisen von Sarasate, Hummelflug von Rimskij-Korsakov, Csárdás von Monti, sowie eigene Kompositionen und Arrangements.
Nun wagte er es endlich, sich im Ausland zu bewerben, und bekam sofort Zusagen aus Helsinki, Stockholm und Riga, wo er auch seine ersten Rundfunkaufnahmen 1938 machte.
Begleitet am Klavier wurde er auf dieser Tournee von der Pianistin Lia Steinberg (Studentin von Artur Lemba am Konservatorium Tallinn), die er 1939 heiratete.
Sein Terminkalender als Marimba-Solist füllte sich, als ein erster Schicksalsschlag in Form einer Lungen-Tbc ihn zu einem längeren Sanatoriumsaufenthalt zwang. Wenige Zeit später (1939) wurde er durch den Hitler-Stalin Pakt vor die schwierige Entscheidung gestellt, sich als Este der wahrscheinlichen Verfolgung und Verschleppung durch die neuen sowjetisch-stalinistischen Machthaber auszusetzen oder in das politisch genauso unerfreuliche Nazi-Deutschland umzusiedeln. Er hatte im Alter von 11 Jahren, bei einem politischen Putschversuch (1. Dezember 1924) durch ein Attentat beinahe sein junges Leben verloren und seine Angst vor dem Stalin-Regime war groß und besonders aus estnischer Sicht nicht unbegründet. www.estonica.org/eng/
Der von vielen seiner Landsleute und auch von ihm bevorzugte Weg ins neutrale Schweden blieb ihm verwehrt, da die Umschuldung seines Kredits für das Marimba-Xylophon so kurzfristig nicht möglich war.
Da aber von der deutschen Treuhand sein Kredit abgelöst werden konnte, durch seine noch nicht ausgeheilte Tbc eine Einberufung ins deutsche Militär verhindert werden würde, und die Möglichkeiten im dortigen Musikleben groß zu sein schienen, entschied er sich wohl oder übel für Deutschland.
Beruflich war diese Entscheidung von Erfolg gekrönt, denn als er sich zum nächstmöglichen Zeitpunkt bei Berliner Agenturen vorstellte, war dies der Anfang einer fast ununterbrochenen Tourneetätigkeit bis 1944.
Er war an vielen Rundfunkanstalten (u.a. Breslau, Leipzig, München, Frankfurt und Berlin) und Varietés (Wintergarten Berlin, Deutsches Theater München u.v.a.) des damaligen Deutschland zu Gast und die Tourneen führten ihn in viele Länder Europas. Ein erster Höhepunkt seiner neuen Karriere war sein Monatsengagement im Wintergarten Berlin 1942. Die Kritiker schrieben begeistert über seine Virtuosität, sein Klanggefühl und seine Musikalität.
Auf den Tourneen konnte ihn seine Frau Lia Pachla-Steinberg am Klavier begleiten, wenn nicht Orchester zur Verfügung stand.
Der Krieg war für ihn durch seinen beruflichen Erfolg zunächst nicht so stark im Vordergrund. Doch konnte dies nicht dauerhaft gut gehen. Rückschläge blieben nicht aus. Zunächst fiel 1943 ihre Berliner Wohnung den Bomben zum Opfer. Außerdem wurde das Reisen immer schwieriger. Die um den ersten Sohn gewachsene Familie kam bei entfernten Verwandten in Baden bei Wien unter und hier wurde er schließlich am Schluss des Krieges zum zivilen Kriegsdienst einberufen und musste unter anderem „Schrauben ordnen“. Sein Instrument lag nach der letzten Tournee vermeintlich sicher bei einer Verwandten im Gebiet der späteren Sowjetzone, aber dies sollte leider bedeuten, dass er das so geliebte Ajax Marimba-Xylophon nie mehr vollständig zurückerhielt, da er mit der Familie nach einer Odyssee 1945 in der amerikanisch verwalteten Zone in Mittelfranken (Bayern) gelandet war.
Es war allerdings keine Zeit zu resignieren, man musste überleben. Er baute sich selbst aus dem nächsten besten Holz, welches ihm geeignet erschien, ein provisorisches Instrument ohne Resonanzröhren und stimmte die Tasten so gut er konnte, um damit erstaunlicher Weise bei der amerikanischen Besatzung erste Engagements zu erhalten.
Die kommenden Jahre waren für seine Familie, wie für die meisten Zeitgenossen, Jahre größter Entbehrungen. Seine auf zwei Söhne angewachsene Familie musste ernährt werden. Dies war für einen Marimba-Solisten ohne akzeptables Instrument unmöglich. So nahm er eine Stelle bei der Personalabteilung für Zivilangestellte der amerikanischen Besatzungsmacht an, wo ihm seine vielseitigen Sprachkenntnisse (er sprach 5 Sprachen fließend) halfen. Wenige Zeit später konnte er sich schon ein brauchbares Instrument der deutschen Firma Röhrig anschaffen und es gelang ihm allmählich beim Bayerischen Rundfunk Fuß zu fassen.
Jetzt erweiterte er seine Möglichkeiten zunächst durch den Kauf eines Ajax Vibraphons, da dieses Instrument ihm in der nun gefragten Unterhaltungsmusik der 50er Jahre zusätzliche Möglichkeiten eröffnen konnte.
Er hatte gehofft, sein Ajax Marimba eines Tages wieder zu erhalten. Dann aber erreichte ihn die niederschmetternde Nachricht , sein Instrument sei bei einem Einbruch gestohlen worden. Später wurden zwar große Teile des Instrumentes wiedergefunden (auf einem Acker!), jedoch durften keine Metallteile die damalige Ostzone verlassen, und er erhielt auf verschiedene Postpakete verteilt wenigstens die Holztasten fast komplett zurück.
So kombinierte W.P. diese mit Teilen des Röhrigrahmens , zunächst sogar mit selbst gestimmten und durch Aluminiumfolie beklebten Resonanz – Röhren aus Pappe (Versandröhren) für die 3 unteren Oktaven und konnte damit erstaunlicherweise sogar ein Monatsengagement im Tivoli Kopenhagen (1959) gestalten. (Mit einem zweigeteilten Marimba-Xylophon, dessen Abstand technisch überwunden werden mußte und seinem Vibraphon).
Seine Auslandstourneen führten ihn bald wieder jährlich nach Skandinavien, wo er von den in den dortigen Rundfunkanstalten zahlreichen hervorragenden Marimbas und Vibraphons schwärmte. Diese wurden ihm für seine Konzerte und Aufnahmen zur Verfügung gestellt, darunter ein Ajax Marimba, aber auch Musser, Premier, Deagan usw. Die Umstellung machte ihm jeweils viel Spaß wegen der vielen unterschiedlichen Klangmöglichkeiten.
Schließlich ließ er sich durch Studio 49 einen neuen Rahmen mit Röhren für seine Ajax-Tasten bauen. (Mit letzterem wurde die Produktion des Creston Concertinos beim Bayerischen Rundfunk aufgenommen, Foto
unten links !).
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Neben Aufgaben der klassischen Musica Nova war schließlich die wichtige Aufgabe, auch die Konzerte für Marimba und Orchester zu erarbeiten, eine neue Herausforderung.
Er nahm Paul Creston’s Concertino für Marimba und Orchester für den Bayerischen Rundfunk 1965 erstmalig auf und war wohl auch der erste, der das Konzert für Marimba, Vibraphon und Orchester von Darius Milhaud in Deutschland 1967 aufführte.
Die Hoffnung diese Konzerte überall in Deutschland und Europa aufführen zu können erfüllte sich nicht, da sein Instrument damals noch nicht die Bedeutung hatte, die es im Laufe der nächsten Jahrzehnte bekommen sollte. Diese Konzerte von Milhaud und Creston erscheinen aber auch auch heute noch nicht häufig in den Konzert Programmen.
Nach einer Krebsdiagnose 1976 blieben ihm nur wenige Jahre Zeit, in denen er sich entschloss, seine Erfahrungen in pädagogischen Werken niederzulegen. Über die Jahre hatte er mehrere Konzert-Etüden komponiert. Diese zusammen mit einer Marimba-Schule für Zweischlägel-Technik, die die Etüden vorbereiten sollte, und die von ihm mit Vorübungen für Marimba herausgegebenen Violinstücke Moto perpetuo von Paganini und Perpetuum mobile von Ries, erschienen beim Zimmermann Verlag.
Der Bayerische Rundfunk produzierte mit ihm als Solisten nochmals eine Reihe von Werken mit Orchester zusammen mit einem Interview anlässlich seines 60-jährigen Bühnenjubiläums 1979.
Er nahm 1981 noch selbst seine Konzertetüden im Studio auf. Sein Instrument dieser letzten Jahre war ein Musser-Marimba. Auch auf seinem Live-Mitschnitt des Milhaud-Konzertes hatte er auf Musser konzertiert.
Die Publikationen und die posthume Produktion der LP mit Milhaud, Creston und seinen Etüden, sind Zeugnisse der außergewöhnlichen Karriere eines Musikers, der in Europa wie kaum ein anderer für sein Instrument, das Marimba-Xylophon, in der Mitte des letzten Jahrhunderts als Pionier zu bezeichnen ist.
Die existierenden Rundfunkkopien und Privatmitschnitte von Rundfunksendungen (viele aus Skandinavien) repräsentieren auch teilweise seine Musik der Varieté Zeit und der Nachkriegsjahre (siehe Aufnahmen/Repertoire).